Der Sportplatz von Montefusco Spinesi ist keiner, auf dem die großen Erfolge gefeiert werden. Ein Kunstrasen in einem Vorort von Neapel, mehr schwarz als grün, hinterm Tor dicke Plastikplanen, die Tribüne einfach nur Beton. Ein Platz wie viele in Italien. Was Montefusco Spinesi so besonders macht: Hier wird mitten auf Europas wahrscheinlich gefährlichstem Vulkan Fußball gespielt.
Solfatara-Krater bei Pozzuoli. - Foto: © ANSA / CIRO FUSCO
Mehr als 1500 Erdbeben seit Anfang September
Auch an diesem Abend steigen in der Nähe wieder Rauchwolken aus der Erde. Es riecht nach faulen Eiern. Die Leute sind das gewohnt. Nur sind ihre Sorgen neuerdings arg gewachsen. Seit Monaten wird die dicht besiedelte Region im Westen der Millionenstadt von kleinen und größeren Erdbeben erschüttert: allein seit Anfang September mehr als 1500. Meist nur ein Zittern von einigen Sekunden, manchmal begleitet von einem Rumoren im Untergrund, ohne, dass bisher groß etwas passierte. Aber das heftigste Beben hatte immerhin Stärke 4,2. Viele Bewohner fürchten, dies seien Vorzeichen für einen Ausbruch. Gerardo Cerino (55), der seinen Sohn gerade beim Fußballtraining beobachtet, sagt: „Ich bin hier aufgewachsen. Aber seit ein paar Wochen spielt die Angst mit.“
Die Stadt Pozzuoli liegt auf dem Supervulkan Campi Flegrei, wo Experten nach einer Serie von Erdbeben Schlimmeres befürchten. - Foto: © ANSA / CIRO FUSCO / FU
Paar und 11-jähriger Sohn auf Kraterfeld gestorben: Soltara seit 2017 gesperrt
Die Gegend hier trägt die Gefahr schon im Namen: Campi Flegrei. Wörtlich übersetzt: Brennende Felder. Die Wissenschaft hat daraus mit etwas mehr Zurückhaltung die Phlegräischen Felder gemacht. Der hiesige Vulkan ist kein wohlgeformter Berg wie der Vesuv, der seit seinem spektakulären Ausbruch auf Pompeji im Jahr 79 Neapels Panorama so schön beherrscht. Auf den Campi Flegrei schlummert die Gefahr im Boden, man sieht sie nicht: ein insgesamt 150 Quadratkilometer großes Areal aus Dellen und Kratern, zu großen Teilen im Meer versteckt.
Auf dem Festland lässt sich das Risiko am ehesten in der Hafenstadt Pozzuoli ahnen, ein paar Kilometer vom Fußballplatz entfernt. Auf dem Kraterfeld Solfatara blubbert die Erde vor sich hin, Rauch zieht nach oben, der Wasserdampf ist mit Kohlendioxid und Schwefel versetzt – daher der Faule-Eier-Gestank. Bis vor ein paar Jahren war die Solfatara eine Touristenattraktion. Seit 2017, als ein Paar mit 11-jährigem Sohn auf dem Feld ums Leben kam, ist sie Sperrgebiet. Das Spektakel lässt sich jetzt nur noch von einem Hügel aus betrachten. Daneben steht ein Luxushotel mit Blick weit hinaus aufs Meer.
Auch die Tempelanlage in Pozzuoli hebt und senkt sich seit Jahren. - Foto: © ANSA / CIRO FUSCO
Supervulkane zeichnen sich durch besonders große Magmakammer und enorme Gewalt aus
Vor 39.000 Jahren war dies der Schauplatz der größten vulkanischen Eruption der letzten Hunderttausend Jahre auf dem europäischen Kontinent. Damals wurde in weiten Teilen des heutigen Süditaliens fast alles Leben vernichtet. Die Asche flog bis aufs Gebiet des heutigen Russlands. Aus diesen Zeiten hat die Bezeichnung Supervulkan für die Campi Flegrei ihre Berechtigung. Supervulkane zeichnen sich durch eine besonders große Magmakammer und enorme Gewalt aus: Anders als normale Vulkane explodieren sie regelrecht.
Die Zahl der Erdbeben im Gebiet von Campi Flegrei ist besorgniserregend. - Foto: © ANSA / CIRO FUSCO / FU
Letzte Ausbruch auf den Campi Flegrei war 1538
Der letzte Ausbruch auf den Campi Flegrei ist bald ein halbes Jahrtausend her: 1538. Zuvor hatte sich der Boden über einen Zeitraum von 70 Jahren durch Magmaschübe nach und nach um mehrere Meter angehoben. So ist das Szenario auch heute: Seit 7 Jahrzehnten wölbt sich der Boden wieder. In Pozzuoli erkennt man das daran, dass die Kaimauer im Hafen um ein paar Meter höher liegt als früher: Die Fischer haben Schwierigkeiten, sie von ihren Booten aus zu erreichen.
„Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt“
Im Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (IGNV) von Neapel wird das alles genau verfolgt: die Beben, das Auf und Ab des Bodens, die Zusammensetzung des Rauchs. An einem der Bildschirme steht der Geophysiker Giovanni Macedonio. „Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt“, sagt der 64-Jährige.
Wann, was und ob überhaupt etwas passieren wird, weiß niemand
Aufgrund der Daten erwarten die meisten Experten, dass sich der Boden weiter wölben wird. Heißt: mehr Spannung, mehr Risse, mehr Brüche, mehr Beben. Bis es irgendwann vielleicht zu viel wird. Aber wann, was und ob überhaupt etwas passieren wird, weiß niemand. Es muss keine Eruption sein. Möglich auch, dass es ein schweres Erdbeben gibt oder eine Wasserdampf-Explosion mitten in der Stadt mit schlimmen Folgen. Denkbar aber auch, dass sich der Supervulkan wieder fast völlig beruhigt. So oder so: Macedonio ist zuversichtlich, dass die Bevölkerung im Fall der Fälle rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden kann. 48 Stunden sollen reichen, um mehr als 360.000 Menschen zu evakuieren, die in der unmittelbaren Gefahrenzone leben
Leute in der Nachbarschaft bereiten sich sicherheitshalber vor
Seit 2012 gilt in der Region Alarmstufe Gelb – erhöhte Wachsamkeit. Nach den vielen Beben der letzten Monate wird nun spekuliert, dass sie demnächst auf Orange angehoben wird. Der Zivilschutzminister der italienischen Rechtsregierung, Nello Musumeci, deutete das bereits an. Beschlossen wurde in Rom schon, dass der Katastrophenschutz für die Campi Flegrei 52 Millionen Euro zusätzlich bekommt.
„Wir sind in 10 Minuten abfahrbereit“
In der Nachbarschaft bereiten sich die Leute sicherheitshalber vor. Die Hausfrau Silvana Di Dio (36) gehört zu denen, die schon einen Koffer gepackt haben. Er steht zuhause am Gang. „Das Allernötigste nur: Kleidung, Medikamente, Kosmetik. Wir sind in 10 Minuten abfahrbereit“, sagt die Mutter von 2 Kindern. Auch die Pfarrei von San Gennaro an der Solfatara hat schon Vorsorge getroffen. Bei Gottesdiensten bleibt die Kirchentür neuerdings offen. So sollen die Gläubigen, wenn etwas passiert, schneller nach draußen kommen.